Sportartspezifisches Training - Krafttraining für Parkour

In unserem Artikel “Train like an athlete” sprechen wir über einen Perspektiven-Shift im Parkour. Dass es nötig ist, sich bei einer Disziplin, die hohe Belastungen mit sich bringt, Trainingsdosierungen im Blick zu behalten und Erholungszeiten ernst zu nehmen. Dass Training durch Phasen und Saisons gehen kann.

Hier wollen wir uns damit beschäftigen, wie Krafttraining eigentlich funktioniert und was man tun kann, um die eigenen Fähigkeiten außerhalb des Parkourtrainings weiterzuentwickeln.

Basic Basics

Unser Körper passt sich entsprechend den Belastungen, mit denen er konfrontiert wird, an. Wer seine Sprungkraft verbessern möchte, muss springen. Wer schneller rennen will, muss rennen. Höhenangst wird man los, indem man sich Höhe aussetzt.

Dieses Prinzip ist simpel, aber nicht einfach.

Man muss lernen, die Belastungen gezielt anzugehen und dem Körper Zeit geben, sich davon zu erholen. Kein Sprinter dieser Welt sprintet jeden Tag. Kein Bodybuilder macht jeden Tag die gleiche Übung mit dem maximalen Gewicht.

Wir entdecken das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung und der Superkompensation.




Der Graph rechts zeigt, wie die Leistungsfähigkeit während des Trainings nachlässt, doch nach einer gewissen Erholungszeit nach dem Training ein wenig höher steigt als zuvor. 




Wenn dein Training einen überschwelligen Reiz für dich bildet, wird sich dein Körper danach an die Anforderungen deines Trainings anpassen. So wirst du mit jedem Training minimal leistungsfähiger und nach vielen Trainings stärker sein und deine Techniken verbessert haben.


Kraft und andere Fähigkeiten

In der Sportwissenschaft unterscheidet man zwischen den koordinativen (z.B. Rhythmus, Koordination und Anpassung) und den konditionellen Fähigkeiten (Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Ausdauer).



Für uns reicht es, festzustellen, dass man in den Dingen, die man regelmäßig trainiert, besser wird. Wer schneller werden will, muss sprinten; wer beweglicher werden will, muss aktiv mit den Bewegungsradien seiner Gelenke und Gliedmaßen arbeiten und wer stärker werden will, muss eben Kraft benutzen.


Dabei gibt es diverse Überschneidungen. Echtes Beweglichkeitstraining ist eher Krafttraining als “einfach nur” Dehnen, Sprinten hat einen Effekt auf Explosivität (Springen), und je mehr Kraft du hast, desto besser, denn Kraft hat mit Abstand den größten Effekt auf alle anderen Fähigkeiten.



Was man mit Training erreichen kann, ist, bis zu einem gewissen Grad, abhängig von individuellen körperlichen Voraussetzungen. Deine Hocke ist (unter anderem) abhängig vom Längenverhältnis der Ober- und Unterschenkelknochen, des Rückens und wie mobil deine Sprunggelenke sind. Wie explosiv oder ausdauernd du bist, wird bis zu einem gewissen Grad von deinem Verhältnis von schnell und langsam zuckenden Muskelfasern bestimmt.


“Arten” von Kraft

Die Kraftfähigkeit ist ein Bestandteil der konditionellen Fähigkeiten. Sie beschreibt die Fähigkeit des neuromuskulären Systems äußeren Kräften entgegenzuwirken oder sie zu überwinden. Es werden damit Muskelleistungen beschrieben, die größer sind als 30% der maximal überwindbaren Last.” (Sportbachelor.de)

Kraft wird traditionell in Maximalkraft, Kraftausdauer und Schnellkraft unterteilt. Diese lassen sich noch etwas detaillierter gliedern, doch für unsere Zwecke sollen diese drei zunächst ausreichen.


Maximalkraft

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Sie ist der Dreh- und Angelpunkt deiner Kraftfähigkeiten. Maximalkraft beschreibt die Kraft, die du maximal einmal aufwenden kannst. Wenn du einen Klimmzug schaffst, dann ist ein Klimmzug für dich eine Maximalkraftleistung. Maximale Kraftleistungen sind nicht explosiv, da sie deinem System alles abverlangen. 





Schnellkraft

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Schnell- oder Explosivkraft beschreibt die Fähigkeit, ein Gewicht schnell zu überwinden bzw. zu bewegen. Um etwas schnell zu bewegen, muss dieses Gewicht für dich leicht genug sein, um es schnell zu bewegen. Wenn du nur einen Klimmzug kannst, wirst du keine explosiven Climb-Ups schaffen. 

In diesem Sinne sind Maximalkraft und Schnellkraft Seiten derselben Medaille.

Kraftausdauer

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Das gleiche gilt für Kraftausdauer, die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum Kraft einzusetzen. Wer schon mal versucht hat, mit dem Schneebesen einen Teig zu rühren, bis er die richtige Konsistenz hat, hat sich vielleicht auch gefragt, woher die Oma diese Kraft(ausdauer) in den Unterarmen her hat. Davon, dass sie es jahrzehntelang geübt hat, natürlich.

Auch hier ist die Kraftleistung ein Bruchteil der maximal möglichen Kraft. Beim Klettern beispielsweise sind einzelne Bewegungen in einer Route recht leicht. Doch zusammengenommen sind Kletterrouten (je nach Schwierigkeitsgrad) ennorme Kraftausdauerleistungen. Auch beim Treppen steigen brauchst du für jede Stufe nur wenig Kraft. Doch nach 200 Stufen werden deine Beine schwer.

Training für Parkour

Training für etwas bedeutet, seine Kapazität, gemäß dem Prinzip der progressiven Belastungssteigerung, zu steigern. Mit dem Wissen um die verschiedenen Kraftarten kommen wir damit zu zwei Wegen, die sich, erfahrungsgemäß, recht gut vertragen. Doch vorher ein Disclaimer:


Kraft ist einfach

In der Trainingswelt stößt man immer wieder auf die neueste, beste Übung oder das neueste, beste Trainingsgerät. Selbsterklärte Atemexperten verkaufen Spitzensportlern, dass sie ihr Leben lang falsch geatmet haben (und auf unerklärliche Art und Weise trotzdem Spitzenniveau erreicht haben) und so weiter…

Das Ding ist, man kann Training unnötig verkomplizieren, oder man vertraut darauf, dass die Skills, die man in der jeweiligen Sportart benötigt, dadurch erlernt werden, dass man sie übt und legt sich in den grundlegenden Bewegungsrichtungen ein hohes Maß an Kraft zu, die einem diese Skill-Akquise erleichtert. Das soll unser Weg sein.


Der parkourspezifische Kontext

Im Parkour arbeiten wir selten an unserer Maximalkraftgrenze, denn per Definition sind diese Kraftleistungen langsam und extrem ermüdend. Bei den meisten Bewegungen im Parkour geht es jedoch eher darum, schnell und explosiv zu sein. Oft dauern Sessions mehrere Stunden, bei denen sich, nach Pausen, immer wieder neue Challenges finden.

Das bedeutet, physiologisch befinden wir uns im Ausdauer- und Schnellkraftbereich. Das wiederum heißt, dass regelmäßiges (1-2 pro Woche, oder öfter) diese Art von Belastung bereits trainiert. Nach dem Motto: "Wer springen lernen will, muss springen”.

Rituale, wie gemeinsame Climb-Ups am Ende eines Trainings, eine Runde “STICK” spielen oder einfach einen (kleinen bis mittleren) Sprung 20 mal zu absolvieren, können hier ausreichen, um dir stetigen Fortschritt zu sichern.


Krafttraining wie in Krafttraining

Wir hatten es ja weiter oben schon: Maximalkraft ist der Schlüssel zu mehr Schnellkraft und Kraftausdauer. Denn nur wenn etwas leicht genug ist, dass du es entweder schnell oder oft (oder beides) bewegen kannst, kannst du im Schnellkraft- oder Kraftausdauerbereich arbeiten.

Das Training, das wir zusätzlich betreiben, sollte also die Ansprüche, die wir an unser Training haben, beziehungsweise die unser Training an uns hat, reflektieren. Wenn wir im Parkourtraining Schnellkraft und Kraftausdauer abgehakt haben, ergibt es wenig Sinn, davon außerhalb des Parkourtrainings noch mehr zu machen. 

(Wenn unser Ziel Kraftzuwachs ist und wir uns um andere Themen, wie z.B. Verletzungen, keine Gedanken machen müssen!)


Die gute Nachricht ist: Krafttraining ist nicht kompliziert. Du brauchst keine fancy nonsense Übungen von TikTok und bis zu einem gewissen Level, auch kein Equipment.


Wir wollen hier ja lediglich die Bewegungen, die wir im Parkour regelmäßig brauchen trainieren. Das sind:

  • springen und landen

  • ziehen und drücken

Um Sprung- und Landekraft zu verbessern schnappst du dir eine Variante der klassischen Kniebeuge, die für dich funktioniert (siehe weiter unten) und machst sie dir so schwer, dass du davon 5 Sätze á 5 Wiederholungen (oder weniger) schaffst. 


Am Ende sollte es so schwer werden, dass du es gerade noch schaffst, aber du solltest davon keine akuten Schmerzen in den Knien, in der Hüfte oder in einem Muskel bekommen.


Das gleiche machst du mit Zieh- und Drückbewegungen. Du schaffst 3x10 Klimmzüge? Pack dir ein wenig Zusatzgewicht (2 Liter Wasser zum Beispiel) in einen Rucksack und mach 3 Sätze mit so vielen Wiederholungen wie du kannst. Das wiederholst du 1 mal pro Woche, bis du wieder bei 3x10 bist. Dann steigerst du das Gewicht. Gleiches Prinzip für Dips.

Wenn du dich gerade fragst, warum die Fitnessinfluencer, denen du folgst, ganz andere Tipps geben: weil diese Leute kein Parkour machen.

Die Empfehlung aus diesem Artikel ist ein Minimum an Training, das dich sehr viel weiter bringen wird, wenn du bisher noch nicht auf diese Art trainiert hast. Natürlich kann man immer noch mehr machen. Aber wenn dein Interesse darin liegt, Parkour zu machen und im Parkour besser und sicherer zu werden, möchtest du vermutlich nicht noch mehrere Tage die Woche mit Krafttraining verbringen.

Abgesehen davon ist es eine Kunst, Belastungen so zu strukturieren, dass man an ihnen wächst und nicht zerbricht.

Hier ist ein Podcast mit Callum Powell von Storror, in dem er über load management im Parkour spricht:

Podcast Link


Kniebeugen

Was für Equipment steht dir zur Verfügung? Mit Langhanteln sind Back- oder Frontsquats dein Freund. Für Kurzhanteln oder Kettlebells empfehlen sich Bulgarian Splitsquats oder Lunges (Ausfallschritte). Wenn du keine Gewichte zur Verfügung hast, sind einbeinige Varianten wie der Skatersquat, deine beste Wahl. Diesen kannst du dir mit etwas Rumprobieren so schwer machen, dass er der Kniebeuge mit Gewicht in fast nichts nachsteht.

Drücken

Der klassische Liegestütz kann fast beliebig skaliert werden - nach oben und nach unten. Wer keinen sauberen Liegestütz am Boden schafft, sucht sich eine Erhöhung, die die Bewegung leicht genug für 3 Sätze á 10 Wiederholungen macht.

Bist du an dem Punkt, an dem du 3x20 saubere Liegestütze am Boden schaffst, ist es Zeit, aufzuleveln. Du könntest du Erhöhungen suchen, zwischen denen du deine Liegestütze machst, um ein wenig tiefer zu kommen. Wenn du deine Füße erhöht platzierst, wird es schwerer. Das kannst du theoretisch solange leveln, bis du bei Handstandliegestützen ankommst.

Alternativ bieten sich Dips an. Wie bei Liegestützen kannst du langsam anfangen, Zusatzgewicht zu verwenden, wenn du 3x10 Wiederholungen gut schaffst.

Hast du Zugang zu einem Kraftraum/Fitnessgym sind alle Drückvariationen dein Freund. Egal, ob Maschine oder Freigewicht, du wirst stärker werden, wenn du schweres Gewicht bewegst. Hier empfiehlt es sich, egal bei welcher Übung im hohen Wiederholungsbereich zu starten, damit sich dein Gewebe und Bewegungsapparat, an die Belastungen gewöhnen kann.

Ziehen

Der klassische Klimmzug in all seinen Varianten ist für die meisten Athleten eine exzellente Wahl. Wie der Liegestütz auch erreichen wir hier aber irgendwann ein natürliches Ende des Trainingseffektes. Grob über den Daumen gepeilt könnte man sagen, dieses Ende ist dann erreicht, wenn du 3x10 saubere Klimmzüge (Brust zur Stange, ganz runter in den Hang gehen) ohne Kippschwung oder andere Verrenkungen schaffst. Spätestens dann ist es Zeit, dir zu überlegen, wie du weitermachen willst.

Je nach Interesse und Equipment hast du die Wahl, deine Klimmzüge mit Gewicht oder einarmigen Variationen, wie Archer Pullups schwerer zu machen. Oder du schnappst dir eine Hantel deiner Wahl, findest raus mit welchem Gewicht du bei einer Rudervariante, möglichst ohne zu schummeln oder nur halbe Wiederholungen zu machen, ein Satz/Wiederholungs-Schema deiner Wahl schaffst.

Progressive! Belastungs! Steigerung!

Um das noch einmal zu wiederholen: Krafttraining ist nicht so kompliziert, wie viele im Internet gerne behaupten. Vor allem nicht für Athleten, die in ihrem “normalen” Training schon ein großes Bewegungsspektrum abdecken. Konzentriere dich auf einfache Bewegungen und mach sie dir so schwer, dass du ein Set/Rep Schema, das dir gefällt, gerade noch schaffst. (3x3, 5x3, 5x5, 4x8, 6x6, 3x6, 3x10,...)

Dann versuchst du, in der nächsten Session etwas mehr Gewicht (vllt nur 200 Gramm) draufzulegen, oder eine Wiederholung mehr zu schaffen. Ein Schema zu wählen, bei dem Sets gleich bleiben, aber Wiederholungen hinzugefügt werden können, bietet sich dabei an. Z.B. könntest du im Verlauf von 2 Monaten versuchen, ein 5x3 zu einem 5x5 werden zu lassen, indem du jedes Mal eine Wiederholung mehr machst.

Trainingsfrequenz, Ermüdung, Erholung, Verletzungen, und vieles mehr

Da der Platz hier (und eure Aufmerksamkeit) begrenzt ist, habe ich versucht, das Thema Krafttraining so kurz und so einfach wie möglich zu präsentieren. Ich werde versuchen, die Lücken in anderen, kürzeren Artikeln so gut wie möglich abzudecken. Eine Lücken für spezifischeres Explosivitätstraining (was ist die Magie hinter dem neuen Programm von Team Phat??) werden in der nahen Zukunft gefüllt werden. Für den Abschluss bekommst du hier noch ein paar Pointer, die dir dabei helfen können, dein Training zu strukturieren:

  • Überarbeite dich nicht. Je schwerer das Training, desto größer die Ermüdung. Versuche, auf die Signale deines Körpers zu hören und auch mal mehrere Tage Pause zu machen, wenn du dich danach fühlst.

  • Priorisiere Schlaf und eine vollwertige, proteinhaltige Ernährung.

  • Verletzungen oder Schmerzen sind ein Signal zur Vorsicht. Viele sind schon an einer “geht schon” Mentalität zerbrochen und du willst sicher nicht dazu gehören.

  • Denke in Saisons oder Phasen. Es ist Winter und du machst weniger Parkour? Ab ins Gym, den Squat verbessern. Es ist Sommer und du bist ständig draußen? Du erhöhst nur dein Verletzungsrisiko und deine allgemeine Erschöpfung, wenn du versuchst, noch mehrmals die Woche Krafttraining dazu zu machen. Finde deine Balance, egal, wie diese für dich aussehen mag.

  • Deload und Variation. Du verlierst keine Gains, wenn du mal 1-2 Wochen Pause machst oder deine Übungen durchwechselst. Im Gegenteil. Du wirst vielleicht sogar feststellen, dass deine Kraftwerte durch die Decke gehen, wenn du dir die Zeit nimmst, eine Variation zu trainieren, in der du schwach bist.

Train hard. And smart.