Was ist eigentlich...Training?!

Training, das

Substantiv, Neutrum [das]

planmäßige Durchführung eines Programms von vielfältigen Übungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit
— Oxford Wörterbuch

Organismus vs. Maschine

Die Idee von Training basiert auf einem Prinzip, dass viele irgendwie intuitiv verstehen. Dennoch kursieren in der Bevölkerung regelrecht abergläubische Annahmen über den Körper - heutzutage um ein vielfaches verstärkt von Social Media Kanälen, die darauf aufbauen, einfach Wahrheiten zu verkaufen. Aber first things first.

Unser Körper ist ein Organismus, der sich an die Einflüsse aus seiner Umwelt anpasst. Das allein unterscheidet ihn radikal von einer Maschine, wie es ein Auto oder ein Computer sind. Denn ein Organismus, der sich anpasst und quasi selbst repariert, wird durch Benutzung besser - nicht schlechter. In einem gewissen Rahmen, denn auch wir sind nicht vor dem Alter gefeit.

Ein Motor nutzt sich über Zeit ab. Platinen verstauben und rosten. Akkus werden mit der Zeit schwächer.

Unser Körper hingegen passt sich an. Wenn ich meine Muskeln benutze, werden sie größer und stärker. Wenn ich viel springe, passen sich meine Knochen, Sehnen und Bänder an diese Belastung an - sie werden dicker und belastbarer.

Außer, ich verlange ihnen zu viel ab. Dann entstehen Verletzungen und Verschleiß.

Hier kommt unsere Definition von Training ins Spiel. Training bedeutet, einen Plan zu haben. Es bedeutet aber auch, den Überblick über Trainings und Belastungen zu behalten und dementsprechende Erholungsphasen einzuplanen.

Im Training werden gezielt Stimuli eingesetzt, um gewünschte Qualitäten (Kraft, Beweglichkeit, Technik, etc.) zu fördern.

Im Detail kommt es dann auf Faktoren wie Trainingsfrequenz (wie oft), Intensität (wie schwer), Volumen (wie viel) und die Art des Trainings an.

Das Load Management Triforce. Zwei kannst du haben.


Load Management

Nichts ist im Parkour häufiger, als Leute, die nach einigen Jahren wieder aufhören, weil sie diverse Schmerzen und Probleme entwickeln. Woran liegt das? Wenn wir dem Prinzip der Anpassung folgen, kann es dafür, grob betrachtet, nur einen Grund geben:

Die Belastung überschreitet ihre Belastbarkeit. Das heißt, es wird entweder zu oft, zu schwer oder zu viel trainiert.

Sprünge und Drops sind nicht per se schlecht für deine Gelenke. Zu viele von zu großen Sprüngen und Drops hingegen schon.

Folgen wir unserem Load Management Triangle von oben können wir, regelmäßig zumindest, maximal zwei dieser Facetten haben.

  • Wenn du jeden Tag viel trainierst, kannst du nicht hart trainieren und jedes mal dicke Drops nehmen und Flips auf Beton stampfen, weil du dich sonst aufarbeitest.

  • Wenn du selten trainierst, kannst du viele harte Challenges machen, weil du dich lange davon erholen kannst.

  • Wenn du oft hart trainieren willst, sollten deine Sessions nicht lang sein und deine Challenges gut gewählt.

Der überschwellige Reiz

Wenn dein Training einen Effekt haben soll, ist es dennoch wichtig, genug zu trainieren.

Gerade im Bewegungslernen ist Wiederholung dein bester Freund. Es gibt einen Unterschied zwischen "schaffen” und “können”.

Früher gab es in der Parkourszene einmal die Faustregel “einmal ist geschafft, dreimal ist gekonnt”.

In der Trainingslehre spricht man von über- und unterschwelligen Reizen. Um eine Anpassung zu fördern, muss dein Training genug Stimulus bieten. Je höher deine Baseline in einem jeweiligen Bereich ist, desto höher ist die Schwelle für den Trainingsreiz, den du setzen musst.

Beispiele:

  • wenn du 10 Fuß weit springen kannst, wirst du nicht irgendwann auf 11 Fuß kommen, wenn du immer nur 5 Fuß weit springst. Auch nicht, wenn du einmal pro Session deine 10 Fuß springst.

  • wenn du einen neuen Move übst, lernst du ihn nicht, indem du ihn zweimal probierst und dann aufgibst.

  • dein Backflip wird nicht besser, wenn du nur einmal im Monat einen Backflip machst.

Lässt sich daraus eine Handlungsanleitung für unser Training ableiten?


Sätze und Wiederholungen im Parkourtraining

Jede etablierte Sportart kennt das Prinzip von Sätzen und Wiederholungen und setzt es in ihrem Bereich ein.

Sprinter laufen in der Vorbereitung für einen 100m Wettkampf (unter anderem) Intervalle von 40-80m.

Powerlifter, die einen neuen persönlichen Rekord im Wettkampf heben wollen, trainieren mit weniger als ihrem Maximalgewicht.

In keiner Disziplin wird jemals aufgehört, an der Technik zu feilen.

Was bedeutet das für ein erfolgreiches Parkourtraining? Wie viele Leute siehst du trainieren wie Athleten?

Jason Paul hat zu seiner Anfangszeit bereits intuitiv verstanden, welchen Wert Wiederholungen haben und hat in Sessions einfach seine Basisbewegungen wiederholt. In diesem Artikel erzählt er, wie er damals trainert hat.

Fragen über Fragen

Wenn du ins Training gehst, hast du eine Vorstellung davon, was du machen möchtest? Oder lässt du dich einfach treiben?

Wie oft passiert es dir, dass du etwas siehst und es nicht probierst, weil du denkst, du schaffst es nicht? Wie lange beißt du dir schon an demselben Move die Zähne aus?

Welche Bewegungen hast du schon so oft gemacht, dass du ehrlich behaupten kannst, dass du nicht darüber nachdenken musst?

Wie hoch ist dein Baseline Level an Dingen, die du immer kannst? Wie weit kannst du an einem guten Tag gehen?

Von welchen Challenges träumst du und was tust du, um ihnen näher zu kommen?

Trainierst du einfach so zum Spaß oder willst du tatsächlich besser werden? Oder ist das nicht doch vielleicht das Gleiche?

Wo sind deine Schwächen? - Körperlich oder mental.

Was sind deine Stärken? Und wie kannst du sie nutzen?

Deliberate Practice

Je nachdem, in welchem Bereich du dich verbessern willst, wird die Herangehensweise eine andere sein. Aber du brauchst eine Richtung. Überlege dir deine Trainings gut und gehe sie mit etwas Verstand an. Sei dir dabei bewusst, dass es immer mehrere Sessions braucht, um besser zu werden. Für Bewegungen könnten Trainingsblocks von 1 Monat ausreichen. Für Kraftmodule sind es eher 2-3 Monate.

Du musst dich dabei nicht komplett einem Plan verschreiben. Nutze deine Warm-Ups zum leichten Techniktraining und das Ende der Session zum Krafttraining und du hast mit wenig Zeitaufwand bereits viel geschafft.


Tipps für die Praxis

  • Wenn du stärker werden willst, könnte es eine gute Idee sein, ein wöchentliches Krafttraining außerhalb deines Parkourtrainings einzuführen, bei dem du gezielt an deine Grenzen gehst. Ab und zu ein paar Klimmzüge reichen nicht, um besser in Klimmzügen zu werden und deine Beine brauchen Sprünge und Gewichte, um stärker zu werden.

  • Wenn du besser in bestimmten Bewegungen werden möchtest, könntest du dir in jeder Session etwas Zeit nehmen, einige Varianten durchzugehen und Wiederholungen darin sammeln. Suche dir einen Variante, die du 7/10 mal schaffst und sammele Wiederholungen.

  • Für Präzis eignen sich ein paar Runden „STICK“ oder kleine Herausforderungen, die du dir selber stellst. Zum Beispiel einen Sprung (oder mehrere) 5-10mal hintereinander perfekt sticken.

  • Wenn du besser in Climb-Ups werden willst, könntest du am Ende jeder Session einige Sätze mit einer herausfordernden Anzahl an Wiederholungen machen.

Play the long game

Lange Rede, kurzer Sinn: wenn du das Gefühl hast, nicht besser zu werden, liegt das vermutlich daran, dass du nicht genug Wiederholungen von den Dingen bekommst, die du brauchst, um besser zu werden. 

Wenn du das Gefühl hast, von einer Verletzung in die nächste zu schlittern und nie so richtig Gas geben kannst, wirf einen genauen Blick auf die Intensitäten, denen du dich aussetzt und frage dich, ob du dich wirklich gut davon erholst oder mehr Grundlagentraining in den Bereichen Kraft oder Technik brauchst.

Vergiss dabei nicht, dass Gut Ding Weile haben will und der wichtigste Punkt im Training immer noch sein sollte, dass du dich dabei (oder danach) gut fühlst und Spaß hast.

Wenn du es schaffst, Spaß zu haben und dabei trotzdem hart zu trainieren, hast du schon den schwersten Teil geschafft!